Freitag, 23. November 2007

Sex-Suchtfalle lauert im Netz

Cybersex, ein anregender Rummelplatz der Erotik in der Anonymität des Internets - doch Vorsicht! Online-Sex macht süchtig. Diese Erfahrung machte ein Lehrer aus Regensburg. So schnell schnappt die Sexfalle zu.



Unrasiert und mit tiefen Augenringen sitzt Romeo C. im abgedunkelten Wohnzimmer an seinem Computer. Er ist so blass, als hätte er seit Wochen kein Tageslicht mehr gesehen. Der flimmernde Bildschirm zieht Romeos ganze Aufmerksamkeit auf sich. Immer wieder hämmert er ein paar Textzeilen in die Tatstatur und wartet dann gespannt auf eine Antwort. Er chattet mit mehreren Personen gleichzeitig, auf der Suche nach dem ultimativen Erotik-Erlebnis: Cyber-Sex.
Diese Form der Sexualität bietet die Möglichkeit, geheimste Phantasien und die wildesten Träume zu befriedigen, ohne die Alltagsmaske fallen zu lassen. Ähnlich wie beim Telefonsex, nur vielseitiger. Was harmlos, in einfachen Chatrooms beginnt, kann zu einer gefährlichen Suchtfalle werden. Diese Erfahrung machte Romeo C. (48), ein Lehrer aus Regensburg. „Romeo“ war sein Pseudonym in den Chats. Seinen richtigen Namen möchte er aus beruflichen Gründen nicht nennen.
Alles fing ganz harmlos an. Nach einem schweren Verkehrsunfall war Romeo mehrere Wochen krank geschrieben und konnte nur mit Krücken durch die Wohnung humpeln. Zum Zeitvertreib beschäftigte er sich intensiv mit dem Internet und landete als totaler Anfänger in einem Chatroom. „Eine für mich völlig neue, faszinierende Welt“, sagt Romeo. „Es begann mit kleinen Flirts und steigerte sich zu Orgien.“ Er fing an, virtuelle Orgasmen wie Jagdtrophäen zu sammeln: „Zum Schluss müssen es Hunderte von Sexpartnern gewesen sein – Frauen und Männer.“
Romeo konnte nur noch an Cybersex denken. Er schlief kaum, ernährte sich von Chips und Kaffee. 15 Stunden Täglich verbrachte er am Computer. „Ich leerte meinen Briefkasten nicht, las keine Zeitung und interessierte mich nicht mehr für Bayern München“, erinnert er sich. Er war in seinen sexuellen Phantasien gefangen.
Um seine zeitintensive Beschäftigung zu verheimlichen, belog er seine damalige Freundin, erfand immer neue fadenscheinige Ausreden. Er hatte keine Zeit mehr für seine Kumpels und ging kaum noch zur Arbeit. Stattdessen ließ er sich immer wieder krankschreiben. Romeo lebte in einem Wachtraum zwischen höchster Euphorie und tiefster Depression.
Die aufregendsten Mails seiner Internetliebschaften druckte er sich regelmäßig aus. Um die kleinen Liebesbriefe immer bei sich zu haben, bewahrte Romeo sie in seinem Geldbeutel auf. Das wurde ihm zum Verhängnis: Als seine Freundin einen Lottoschein suchte, las sie alle E-Mails und verschwand aus seinem Leben.
Nach fast einem Jahr Chat-Sucht und massiven Problemen im Job, begann Romeo seine Probleme aufzuschreiben. Zunächst für sich, als Selbsttherapie. Entstanden ist der Erfahrungsbericht „Ch@tgeflüster - Erlebnisse eines C6-Süchtigen“. Veröffentlicht unter seinem Pseudonym „Romeo C.“. Das Buch ist für alle, „die von diesem unheimlichen Sog erfasst wurden und nicht mehr loslassen können. "Ich möchte vor der virtuellen Venusfalle warnen“, so der Autor.
Mittlerweile hat Romeo eine neue Lebensgefährtin. Kennengelernt hat er sie beim Chatten. „Deshalb möchte ich diese Zeit auch nicht missen. Aber heute betrete ich keine Chat-Rooms mehr.“ Die Angst, rückfällig zu werden, sitzt tief.

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